Project Ireland: St. Patrick vs. St. Patrick

Am Freitag, dem 13., fuhr ich nach Armagh. Das ist ein recht ungewöhnlicher Ort, da er nur etwa 14.000 Einwohner hat, aber “the ecclesiastical capital of Ireland“ (die geistliche Hauptstadt Irlands) ist, denn in Armagh sitzen sowohl der anglikanische wie auch der katholische Erzbischof von Irland, sowie der presbyterianische Primates of All Ireland. Zudem gibt es zwei große Kathedralen, eine katholisch, eine anglikanisch, die beide den Namen St. Patrick tragen. Sehr originell. Der Hauptgrund, warum ich nach Armagh wollte war jedoch die Bibliothek, die Swifts eigene Erstausgabe von Gulliver’s Travels hat, inklusive seiner Anmerkungen. Die wollte ich mir unbedingt ansehen.

Der Bus fuhr um 9:10 vom Europa Buscentre. Ich war schon um kurz vor neun da, woraufhin der Mann am Ticketschalter mir sagte, ich solle noch einmal um fünf nach neun wieder kommen, dann sei das Ticket billiger. Gesagt, getan, doch als ich das zweite Mal aufkreuzte, hatte sich „die Maschine noch nicht umgestellt“, sodass ich den vollen Preis von £15.50 zahlen sollte, was nicht gerade wenig war. Zähneknirschend schob ich die Kohle rüber, doch genau in dem Moment schaltete sich die Maschine um und ich musste nur neun Pfund zahlen, da es sich um ein Ulsterbus-Tagesticket handelte. Noch einmal Glück gehabt. Ich fand es auch nett von dem Mann, dass er mich auf diese Möglichkeit hinwies, er hätte mich ja auch über den Tisch ziehen können.

Da ich dank der Schottinnen mal wieder nicht so viel Schlaf bekommen hatte, verpennte ich einen großen Teil der Fahrt. Ich wachte erst auf, als wir in Portadown plötzlich zum Stehen kamen. Vor uns trommelte nämlich eine Parade des Orange Order auf. Schon wieder?! Ich dachte, nach dem 12. Juli hätte sich die Sache erledigt, aber anscheinend nicht. Vielleicht auch, weil Portadown einer der Orte war, an denen die Parade zuerst durchgeführt wurde, back in 1796. Na toll, wenn die Parade so lang ist wie in Belfast stehen wir hier noch Stunden, dachte ich mir, während sich hinter uns der Verkehr staute. Nach einer Viertelstunde endete sie jedoch (zumindest vorläufig) und wir konnten weiter fahren. Das Erstaunliche dabei war, dass wir trotz der Warterei pünktlich um 10:25 Uhr in Armagh ankamen. Hatte der Journey Planner das etwa schon mit eingerechnet?

Wie auch immer. Als erstes machte ich mich auf dem Weg ins Touristenbüro, das sich am Market Place mit seinem keltischen Kreuz befindet, unterhalb der anglikanischen St. Patrick’s Cathedral. Der Laden war wie ausgestorben, nur eine junge Frau und ein etwas älterer Herr vom Personal unterhielten sich. Ich fragte die junge Frau, ihr Name war Shirley, ob es heute eine Führung durch die Bibliothek gäbe. Sie versicherte mir, dass heute alles geöffnet hat, sie wolle nur kurz in der Bibliothek anrufen und nach der Tour fragen. Sie klingelte durch und ließ es klingeln, und klingeln, und klingeln… aber es hob niemand ab. Da schwante mir schon böses. „Keine Sorge, die haben auf jeden Fall geöffnet“, meinte Shirley. Nichtsdestotrotz ließ ich mir eine Karte geben und fragte, was man in Armagh sonst noch machen könnte, woraufhin sie mir einige ganz gute Vorschläge machte.


Ich ging also zunächst zur Public Library, die sich auf dem Hügel befand. Sie sah von außen eher wie ein nobles Wohnhaus denn wie eine Bibliothek aus, aber Shirley hatte mir schon gesagt, dass sie nur aufs Klingeln öffnen. Ich klingelte also und wartete… und klingelte… und wartete… aber niemand öffnete. Da musste ich mir dann wohl eingestehen, dass sie geschlossen war. Ich war so wütend und enttäuscht! Da war ich extra den ganzen Weg nach Armagh gefahren um den Swift zu sehen und dann so was! Und wieso haben die überhaupt geschlossen? Der Dreizehnte ist doch gar kein Feiertag! Am liebsten wäre ich noch einmal ins Touristenbüro gegangen, um zu Shirley zu sagen, dass sie eben nicht geöffnet hatten, aber ich verkniff es mir. Stattdessen schaute ich mir St. Patrick’s CoI an, die allerdings nicht besonders außergewöhnlich war.




Nun musste ich erstmal überlegen, was ich jetzt eigentlich machen wollte. Shirley hatte mir Navan Fort empfohlen, wo man die Überreste einer prähistorischen Siedlung begutachten konnte, doch das interessierte mich nicht besonders. Außerdem war es einige Kilometer von der Innenstadt entfernt. Stattdessen ging ich ins St. Patrick’s Trian, einem Museum. Auch dort war absolut tote Hose. Eine ältere Frau und ein junger Mann namens Michael waren für die Touristen zuständig. Da ich allein dort war, wurde mir ihre ganze Aufmerksamkeit zu Teil. Das Museum hat zwei Ausstellungen: Eine über die Geschichte von Armagh und eine über Gullivers Reise nach Liliput. Wenn man auch den Gulliver sehen wollte, musste man etwas mehr bezahlen, aber da es nur ein gutes Pfund war, machte ich beides. Eigentlich ist die Gulliver-Ausstellung für Kinder gedacht, aber ich wollte wenigstens noch ein bisschen Swift an diesem Tag.

Zunächst ging es aber um Armagh. Vor der Tür standen drei Figuren, ein Priester, ein Mönch und eine junge Frau. Die Dame zeigte zunächst auf den Priester. „Now, this guy might be very important to you if you’re a Methodist.“ Sie hob ihre Stimme am Satzende leicht, als ob es eine Frage wäre, woraufhin ich den Kopf schüttelte. Es handelte sich um John Wesley, den Gründer besagter Kirche. Er reichte mir gerade einmal bis zur Brust, aber die Frau erzählte, dass dies seine tatsächlich Größe gewesen sein, die für die damalige Zeit vollkommen normal war. Das erinnerte mich ein bisschen an John Keats. Der war ja auch nur 1,50 m groß gewesen, was jedoch niemand von seinen Zeitgenossen für bemerkenswert hielt. Der Mönch war keine bekannte Persönlichkeit, sondern sollte nur verdeutlichen, dass Mönche im Mittelalter die einzigen waren, die lesen und schreiben konnten. Im Erdgeschoss des Museum könnte ich selbst mal ausprobieren, wie es ist mit einem Quill zu schreiben, erzählte die Frau. Wenn etwas von der Tinte auf meine Finger kommen würde, dauerte es jedoch zwei Tage, sie abzuwaschen. Und wenn etwas auf die Kleidung kommt… „we assume no liability.“ Die dritte Figur war eine junge Frau, die auf eine Landkarte starrte. „This is a traveller like you, lost without a map.“ „Ha ha.”

Sie schickte mich dann in die eigentlich Ausstellung, die eine audiovisuelle Präsentation war. „You just have to watch and listen. When you’re finished, Michael will take you to the cinema.“ Ich bedankte mich und ging in den dunklen Flur. Plötzlich ging das Licht an und ein frühzeitliches Fort erschien, das ein bisschen wie ein hölzernes Zelt aussah. Dabei handelte es sich wohl um eine Art heidnischen Tempel. Als die Stimme ausgeredet hatte, ging ich in das nächste Zimmer, wo mir St. Patrick erschien. Wer auch sonst. Die Stimme aus dem Off erzählte seine Lebensgeschichte, wie er als Sklave nach Irland verschleppt wurde und später als Bischof zurückkam, um die Menschen zum Christentum zu bekehren und sich dabei ausgerechnet in Armagh niederließ.



So ging es weiter. Weitere Figuren waren unter anderem der letzte irische König, der in St. Patrick’s CoI begraben liegt und Swift, der oft in Armagh zu Gast war. Am Ende kam Michael wie versprochen und brachte ich mich in einen leeren Kinosaal, in dem ein kurzer Film über Armagh abgespielt wurde. Zu meiner Enttäuschung musste ich feststellen, dass ich in St.Patrick’s CoI die barbusige Fruchtbarkeitsstatue aus prähistorischer Zeit übersehen hatte, aber nun ja. Der Großteil des Films bestand allerdings aus Werbespots über die anderen Sehenswürdigkeiten in Armagh, was ein bisschen langweilig war.


Anschließend führte mich Michael in die Gulliver-Ausstellung, das „Land of Liliput“. Der Arme wurde von Husten geplagt, den er zu unterdrücken versuchte, während er mir die Ausstellung erklärte. Ich bedankte mich daher so schnell wie möglich, woraufhin er meinte, ich könne so lange dort bleiben, wie ich wollte. Der erste Teil der Ausstellung war ebenfalls audiovisuell, aber glücklicherweise erzählten sie eine gekürzte Fassung der Liliput-Geschichte, sonst hätte ich wohl noch den ganzen Nachmittag dort verbracht. Zunächst sah man Gulliver auf dem Schiff und dann, wie die Liliputaner versuchen, ihn gefangen zu nehmen. Der zweite Teil der Ausstellung fand in einem Raum statt, an dessen Wänden sich eine Schlosskulisse befand. Man konnte auf riesigen Sitzkissen Platz nehmen, sodass man sich selbst wie ein Liliputaner fühlte. Verstärkt wurde der Effekt noch durch den etwa sechs Meter großen Gulliver gegenüber. Das Gesicht eines Schauspielers wurde auf das Gesicht der Gulliver-Figur projiziert, und dieser gigantische Lemuel erzählte dann die Geschichte zu Ende. Das war absolut surreal, aber spaßig.




Theoretisch hätte ich mich auch noch als Liliputaner verkleiden können, aber darauf habe ich dann mal verzichtet. Zum Abschluss winkte ich noch Michael zu, der mit dem älteren Herrn aus dem Touristenbüro Mittag aß, und bedankte mich. Mein Gott, man müsste wirklich beim Touristikverein von Armagh arbeiten, ich habe das Gefühl, da hat man einen unwahrscheinlichen Lenz. Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal ein Museum für mich allein gehabt zu haben. Insgesamt war es ganz sehenswert gewesen, ich hatte auch anderthalb Stunden dort verbracht, aber dieser ganze audiovisuelle Kram einschließlich Gulliver war schon ein bisschen… bizarr.

Anschließend ging ich noch zur anderen St. Patrick’s Cathedral, die sich ebenfalls auf einem Hügel befindet. Das erinnerte mich an Derry, wo das Stadtbild ja auch von zwei Kirchen unterschiedlicher Konfessionen dominiert wird. Die katholische Kathedrale war (natürlich) ungleich protziger, mit reihenweise Mosaiken an den Wänden, wobei ich sie mir aber nicht genau ansehen konnte, da gerade eine Hochzeit stattfand. Also ging ich wieder zurück in die Innenstadt. Dort befindet sich eine große Grünfläche namens The Mall, auf der eine alte Kanone so wie mehrere moderne Kunstwerke zu sehen sind. Drum herum gibt es noch einige weitere interessante Gebäude wie das Gericht und das ehemalige Gefängnis, sowie die presbyterianische Kirche, für die kein Hügel mehr übrig war. Das Zentrum Armaghs ist eine Perle Georgianischer Architektur, aber außerhalb ist die Stadt ziemlich heruntergekommen, mit vielen verfallenen Häusern und brachliegenden Bauflächen.






Um 14 Uhr nahm ich dann den Bus zurück nach Belfast. Die Rückfahrt verpennte ich mal wieder komplett, sodass ich noch ziemlich verschlafen war, als ich wieder in Belfast ankam. Da mir auch ein bisschen kalt war, ging ich zum Rathaus, um mich in die Sonne zu legen, die tatsächlich schien. Der Wind war ein bisschen kühl, aber sonst war es sehr schön, weshalb wohl halb Belfast auf dem Grün anzutreffen war. Ich las dort den Dorian Gray zu Ende, wobei ich sehr traurig war, als ich ihn ausgelesen hatte. Für meinen Geschmack war das Buch viel zu kurz. Zunächst war ich etwas skeptisch gewesen, da ich eigentlich nicht so auf fantastische Literatur stehe, aber es war gar nicht so märchenhaft wie ich erwartet hatte. Ich fand die drei Hauptfiguren Dorian, Basil und Harry unglaublich faszinierend, und die Idee, dass Dorians moralischer Verfall nur für ihn sichtbar ist, auf seinem Porträt, ist wirklich genial. Ein unglaublich gutes Buch.

So viel zu Armagh und Swift und Wilde. Das nächste Mal geht es dann nach Carrickfergus.

Alle Bilder von Armagh sind hier zu sehen.

Kommentare

  1. Und wie spricht man dieses "ecclesiastical" nun aus?? Bestimmt bricht einem da die Zunge ab, wenn man das zu oft ausspricht. Ach was bin ich froh, daß ich nur ein simpler Dipl.-Ing. und einfacher PID Maler geworden bin - da erwartet niemand solch komplizierte Zungenbrecher von mir. Liebe Grüße aus dem Atelier!

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen