Books I've Read: Nellie Bly - Around the World in 72 Days and Other Writings



Vielleicht erinnert ihr euch noch, dass ich vor zwei Jahren (so lange ist das tatsächlich schon her) Brooke Kroegers umfassende Biographie über Nellie Bly gelesen habe. Mit etwas Verspätung habe ich mich im Urlaub nun mit Blys Texten befasst, von denen Penguin anlässlich ihres 150. Geburtstags im letzten Jahr einige in einer Anthologie zusammengefasst hat, die von Jean Marie Lutes editiert wurde. Dass die damals erst 20-jährige Elizabeth Jane Cochrane überhaupt zum Journalismus kam, ist einer misogynistischen Kolumne im Pittsburgh Dispatch zu verdanken. Dort hatte Erasmus Wilson mehr oder weniger scherzhaft erklärt, dass Frauen außer zum Gebären zu nichts zu gebrauchen sind und man vielleicht wie in China dazu übergehen sollte, weibliche Babys zu töten, woraufhin Cochrane unter dem Pseudonym "Lonely Orphan Girl" einen erbosten Leserbrief schrieb. Dieser beeindruckte den Redakteur George Madden so sehr, dass er sie beauftragte, einen Artikel über das Leben als Frau zu schreiben.

Dieser Artikel mit dem Titel "The Girl Puzzle" eröffnet die Anthologie. Obwohl es Cochranes erster richtiger journalistischer Text ist, ist er hervorragend geschrieben, was umso bemerkenswerter ist angesichts der Tatsache, dass sie aus finanziellen Gründen die Schule hatte abbrechen müssen. Sie zeigt auf, dass Frauen grundsätzlich nur die schlechtesten Jobs bekommen und dabei oft nur halb so viel Lohn, wenn nicht noch weniger, wie die Männer erhalten - einfach nur weil sie Frauen sind. "Gather up the real smart girls, pull them out of the mire, give them a shove up the ladder of life, and be amply repaid both by their success and unforgetfulness of those that held out the helping hand", fordert Bly - ein Appell, der auch heute noch aktuell ist. Immer noch gibt es Länder, die Frauen den Zugang zu Bildung und zu besseren Jobs verwehren, obwohl unzählige Studien bewiesen haben, dass die Ausbildung von Frauen einer der Kernfaktoren in der Bekämpfung von Armut ist.

Natürlich sind auch Blys bekannteste Texte in dem Buch vertreten, angefangen mit einem Ausschnitt aus "Six Months in Mexico". Als 21-Jährige war Bly, unzufrieden mit ihren Aufträgen, nach Mexiko abgereist, um dort als Korrespondentin für den Dispatch zu schreiben, unter anderem diese berührende Reportage über die unvorstellbare Armut in dem Land. Ihr wohl größter Erfolg ist jedoch "Ten Days in a Mad-House". Mit gerade einmal 23 Jahren heuerte Bly bei der New York World unter Joseph Pulitzer an, der ihr den Auftrag gab, sich in die psychiatrische Anstalt auf Blackwell's Island einweisen zu lassen und dort über die Lebensbedingungen zu berichten. Tatsächlich schafft es Bly, in einer Frauenpension den Eindruck zu erwecken, dass sie "wahnsinnig" sei - was gleich mehrere Ärzte bestätigen. Das Ironische dabei ist: Je weniger Bly versucht, die Verrückte zu spielen, desto mehr gilt sie als gestört. Besonders erschreckend an ihrem Bericht ist, dass auch völlig gesunde Frauen nach Blackwell's Island eingewiesen wurden, einfach nur weil Angehörige sie loswerden wollten oder weil sie kein Englisch sprachen. Die meisten von ihnen sind nie wieder entlassen worden, egal wie sehr sie beteuert haben, dass sie nicht verrückt sind. Und wer bei der Einweisung nicht verrückt war, ist es oft vor Ort geworden. Bly schildert unzähligen Maßnahmen, mit denen das Pflegepersonal die Insassen - man muss es schon gesagen - gefoltert hat: Verdorbenes Essen, Baden in eiskaltem Wasser, Prügel und das büschelweise Ausziehen von Haaren waren nur einige Sachen, mit denen die Schwestern den Patienten das Leben zur Hölle gemacht haben. Ein erschütternder Bericht, der auch die Behörden wachrüttelte und die daraufhin eine Verbesserung der Maßnahmen anordneten.

Der Text, der Bly endgültig zur Star-Reporterin werden ließ, war jedoch "Around the World in 72 Days". Auch erst 25 Jahre alt, trat Bly an, Phileas Foggs fiktiven Rekord zu brechen und in weniger als 80 Tagen die Welt zu umrunden. Damals schickte es sich nicht für Frauen, alleine zu reisen. Zudem wurde erwartet, dass sie unzählige Gepäckstücke mit sich bringen. Bly widersetzte sich diesen Erwartungen indem sie größtenteils ohne Anstandswauwau reiste und nur eine Handtasche mit sich führte. Es gelang ihr tatsächlich, in nur 72 Tagen den Globus zu umrunden - zu dem Preis, dass sie in vielen Ländern nur wenige Stunden bis Tage verbrachte. Bei ihren Reportagen vor Ort treten auch Blys weniger schmeichelhaften Seiten zu Tage, um es mal vorsichtig auszudrücken, vor allem ihr unverhohlener Rassismus gegenüber Chinesen. Von diesen lässt sie sich einen Tag auf einer Sänfte durch die Gegend tragen nur um sich zu beklagen, dass das für die armen Männer offenbar nicht unanstrengend ist. Auch war Bly nie wirklich allein unterwegs, sondern in der Gesellschaft anderer Passagiere (und bequemerweise in der ersten Klasse). Nichtsdestotrotz ist "Around the World in 72 Days" ein faszinierender Bericht über eine außergewöhnliche Reise. Mein Höhepunkt war Blys Besuch bei Jules Verne und seiner Frau, die sie als überaus liebenswerte Menschen porträtiert (ich hätte auch nichts anderes erwartet).

Die Anthologie beinhaltet Texte aus allen großen "Phasen" Blys, unter anderem einen erschütternden Bericht von der Front des Ersten Weltkriegs, sowie ihre letzten Kolumnen, in denen sie versucht, Waisenkindern  ein Zuhause zu vermitteln und Lebenshilfe erteilt (wenn auch nicht immer erfolgreich). Besonders interessant ist jedoch, dass viele der Texte, die Lutes ausgewählt hat, von einer erstaunlichen Aktualität sind, sei es "The Girls Who Make Boxes", in dem Bly aufzeigt, wie Frauen trotz Vollzeitstelle Probleme haben, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, oder "The King of the Lobby", in dem Bly einen Lobbyisten vorführt, der für einige tausend Dollar anbietet, unerwünschte Gesetzentwürfe zu "killen" und eine Liste mit bestechlichen Abgeordneten präsentiert. Spannend ist auch ihr Interview mit Belva Ann Lockwood, eine der ersten Anwältinnen der USA, die schon 1884 und 1888 für die amerikanische Präsidentschaft kandierte. Selbst 130 Jahre später ist immer noch nicht klar, ob es eine Frau in absehbarer Zukunft auf den Posten schafft (wenngleich die Chancen wahrscheinlich nie so gut standen wie heute).

Around the World in 72 Days and Other Writings demonstriert eindrucksvoll, warum Bly wie kaum eine andere Frau den Journalismus geprägt hat. Sie war furchtlos, sie war leidenschaftlich und sie konnte verdammt gut schreiben. Die Anthologie gibt einen sehr guten Überblick über ihre lange Karriere, hat aber ein entscheidenes Manko: Sie ist viel zu kurz.



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