Record of the Month: Tyler Lyle - The Native Genius of Desert Plants

 

Das Warten hat ein Ende: Vielleicht erinnert ihr euch noch, dass Tyler Lyle Anfang des Jahres eine Pledge-Kampagne zur Finanzierung seines neues Albums The Native Genius of Desert Plants gestartet hat, mit der er glücklicherweise 124 Prozent der benötigten Summe eingenommen hat. Nun ist das Album endlich erschienen (die Vinyl-Ausgabe und der Essay-Begleitband lassen allerdings noch auf sich warten). Im Grunde habe ich aber noch viel länger als nur diese fünf Monate gewartet. Lyles letztes Album The Golden Age & The Silver Girl erschien tatsächlich schon 2011 und seit diesem Zeitpunkt wollte ich immer mehr. Ich habe ja schon x-mal erwähnt, dass Golden Age eins meiner liebsten Alben überhaupt ist, sodass ich mich sehr auf den Nachfolger gefreut habe, aber auch Bedenken hatte, ob er mir so gut gefallen würde - auch wenn er zwischenzeitlich einige vielversprechende EPs veröffentlicht hat.

The Native Genius of Desert Plants entstand während der dreieinhalb Jahre, die Lyle in Los Angeles gelebt hat, bevor er im letzten Herbst mit seiner frischgebackenen Frau nach New York zog. Der Titel hat seinen Ursprung in einem Ausflug zum Joshua Tree Park, wo er beeindruckt feststellte, mit welchem "Geschick" (wenn man das denn so nennen kann), Pflanzen in der widrigen Wüstenlandschaft überleben. Dies ist praktisch das Grundthema des Albums: Das Leben, und wie wir damit zurechtkommen. Es gibt Songs über die Liebe, über den Tod und das Leben selbst. Zu meinen Favoriten zählen "Eighteen", ein mit Selbstironie gewürzter Titel, den Lyle für seine Frau geschrieben hat und der davon handelt, was wäre, wenn sie sich früher kennengelernt hätten - und dass ein Leben nicht für eine große Liebe ausreicht. "Hollywood Forever" bezieht sich auf den gleichnamigen Friedhof und beschäftigt sich mit der Frage, was von uns bleibt, wenn wir sterben, "One Beating Hand" greift die Essenz unseres Daseins auf: "The only thing I'll ever know is life is bigger than we are/and it's mending and breaking and it's radiating/we are one beating heart."

Musikalisch stellt The Native Genius of Desert Plants eine deutliche Weiterentwicklung zu Golden Age da, wenngleich nicht alle Songs völlig neu sind. Wir finden "Ditchdigger" von der gleichnamigen EP, hier allerdings in einer opulenteren Version mit ausgedehntem Intro, aber der gleichen wunderbaren Anfangszeile: "I choose my eyes wide open and my heart half broken all the time". Auch "Young Men" von derselben EP ist dabei, ebenso wie "Winter is for Kierkegaard". Letzteres kannte ich bisher nur in der Akustiversion, hier ist er tauscht Lyle Akustikgitarre und Mandoline gegen E-Gitarre, Synthies und galoppierende Drums, was genauso wunderbar ist. Vorab hatte Tyler verlauten lassen, dass sich auf dem Album sowohl Banjos als auch Synthesizer finden. Es gibt schlichte Folksongs, wie man sie auch auf Golden Age findet, aber eben auch Synthiestücke wie "Lost & Found" oder "Against the Dark". So gegensätzlich wie man zunächst vermuten könnte, klingt das allerdings gar nicht, im Gegenteil: Es passt alles sehr gut zusammen. Daneben ist Native Genius geradezu gemacht für den Sommer mit herrlich groovenden Titeln wie "Lucky Ones" oder "Feel Free".

Ein Grund, warum ich Tyler Lyle so schätze ist, dass er weiß, wie man einen perfekten Popsong schreibt. Seine Lieder haben sehr schönen Melodien, die zwar eingängig, aber nie langweilig sind. Seine Musik paart er mit intelligenten Texten, die zum Nachdenken anregen. Manchmal könnte man glatt vergessen, dass es sowas noch gibt. Auch wenn Golden Age immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben wird, weil es das richtige Album zur richtigen Zeit war, ist The Native Genius of Desert Plants ein in jeder Hinsicht würdiger Nachfolger.


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