My Own Private Odyssey: The Penis Mystery

Die erste Nacht im Hostel war besser als erwartet. Ich fiel nicht aus dem Bett, was aber auch daran gelegen haben mag, dass ich einen Nackenschuss hatte und mich nicht so herumwälzen konnte wie ich es normalerweise tue. Es war auch erstaunlich ruhig gewesen, da ich zu meiner Überraschung das Zimmer für mich allein hatte. Hm, wenn zwei Betten benutzt sind, aber niemand darin schläft, woran liegt das wohl? Heißt es, dass zwei Backpacker die Nacht einfach nicht in dem Bett verbracht haben, für das sie bezahlt haben, oder heißt es, dass die zwei Betten einfach nicht gemacht wurden? Ich denke, die Antwort ist eindeutig. Da es heiß und stickig war, öffnete ich erst einmal die Tür zum Balkon, wobei ist jedoch feststellen musste, dass das Viertel bei Tageslicht nicht besser aussieht, im Gegenteil:

A Room with a View
Danach wandte ich mich größeren Problemen zu: der Nahrungsbeschaffung. Laut Reiseführer haben die griechischen Geschäfte nämlich sonntags alle geschlossen. Ich wollte aber nur ungern für jede Mahlzeit ein Lokal aufsuchen müssen, mal ganz abgesehen davon, dass ich auch was zu trinken brauchte, vor allem bei einer Temperatur von 30 Grad. Also fragte ich den Rezeptionisten (diesmal war es ein jüngerer Mann), ob ich irgendwo Lebensmittel kaufen könnte. Er rieb sich das Kinn. "They're all probably closed because it's Sunday..." Na großartig, dachte ich mir, doch dann meinte er, dass ich mal den Minimarkt am Ende der Straße versuchen sollte.

Dieser hatte tatsächlich geöffnet, und machte seinem Namen alle Ehre. Es handelte sich um einen kleinen Raum, der mit allen möglichen Lebensmitteln vollgestopft war, in erster Linie mit Getränken, Snacks und Gebäck. Ich kaufte das Nötigste: Wasser, Kaffee, Milch und ein Viererpack süße Brötchen. Beim Frühstück musste ich jedoch feststellen, dass ich mich etwas zu früh gefreut hatte, denn das was ich für Milch gehalten hatte, war irgendetwas anderes mit einem unangenehm säuerlichen Beigeschmack, das den Kaffee komplett ungenießbar machte. Dummerweise hatte ich vergessen nachzusehen, was Milch auf Griechisch heißt und auch mein Wörterbuch nicht mitgenommen. Dabei hatte ich im Vorfeld extra das griechische Alphabet gelernt, auch wenn ich nur sehr langsam lesen konnte und angesichts der wenigen Zeit im Vorfeld nicht dazu gekommen war, mir die Buchstabenkombinationen wirklich einzuprägen. Für Laute wie [b] und [d] zum Beispiel gibt es nämlich keinen einzelnen Buchstaben, sie werden durch die Kombinationen "mp" bzw. "nt" dargestellt (was linguistisch betrachtet nicht ganz unsinnig ist). Nun nutzte mir das aber alles nichts, wenn ich das Wort nicht kenne. Nach dieser Pleite habe ich aber umgehend nachgeschaut, was Milch heißt (γάλα) und werde es jetzt bestimmt nicht mehr vergessen.

Für den ersten Tag hatte ich mir vorgenommen, die Athener Innenstadt anhand des Lonely Planet Walks zu erkunden, um schon einmal "Anregungen" für die restlichen Tage zu sammeln. Zunächst ging ich zum Monastiraki-Platz, aber der Weg dorthin war keine große Freude. Obwohl Sonntag war, herrschte sehr viel Verkehr, sodass es nicht so leicht war, die Straßen zu überqueren, auch weil Zebrastreifen und Ampeln Mangelware sind und viele Griechen sich eh nicht daran halten. Übrigens gab es einige Geschäfte, die trotzdem geöffnet hatten. In einem Dessousgeschäft prügelten sich die Leute fast darum, in der Unterwäsche wühlen zu dürfen, insbesondere ältere Damen.

Rund um den Monastiraki-Platz gibt es ebenfalls sehr viele Geschäfte, die in erster Linie auf Touristen ausgelegt sind. Sie verkaufen den ganzen üblichen Krimskrams wie T-Shirts, Taschen, Magnete, aber auch einige eher ungewöhnliche Gegenstände, allen voran holzgeschnitzte Penisse. Ja genau, Penisse. Als ich die Dinger zum ersten Mal an einem Ständer (no pun intended) hängen sah, da war ich schon etwas irritiert. Ich meine, was in aller Welt mache ich mit einem Holzpenis? Gibt es tatsächlich Menschen, die fünf Euro für etwas ausgeben? Und es war nicht bloß ein Geschäft, das die Geschlechtsteile im Angebot hatte, sondern mehrere. Warum?! Ein paar Tage später habe ich erfahren, dass der Penis ein Symbol für Dionysos ist, der im alten Griechenland die beliebteste Gottheit war, vielleicht liegt es daran. Anders kann ich mir das wirklich nicht erklären. Es sei denn, der Markt für obszöne Briefbeschwerer/Schlüsselanhänger ist weit größer, als ich gedacht hätte.

Neben den Geschäften gab es dort auch eine kleine orthodoxe Kirche, die ich allerdings nicht betrat, weil der Andrang schon so groß war. Dafür schaute ich mir die größere Kirche nebenan an, die jedoch gerade renoviert wurde:


Schließlich kam ich zum Syntagma-Platz mit dem an sich recht beeindruckenden Parlamentsgebäude. Da die Mittagssonne jedoch vom Himmel brannte, zog ich es vor, mich nicht so lange dort aufzuhalten und lieber eine kleine Pause im Nationalgarten einzulegen, einem Park direkt neben dem Parlament. Der war ganz hübsch, aber ziemlich zugemüllt. Ich verstehe wirklich nicht, was daran so schwer ist, seinen Abfall zu entsorgen. Zumal dies der einzige Park in der Athener Innenstadt ist, da könnte man doch wirklich auf die Sauberkeit achten.




Ich hatte mich gerade auf eine Bank gesetzt, als ich mich ein Mann, schätzungsweise in den Vierzigern, ansprach. Jedoch auf Griechisch, woraufhin ich mit den Achseln zuckte und er weiter ging. Kurz darauf kam er jedoch zurück und setzt sich neben mich auf die Bank, obwohl es noch reichlich andere Plätze gab. Er wollte anscheinend Feuer für seine Zigarette, aber ich schüttelte den Kopf. Dennoch blieb er einfach sitzen und redete weiter auf Griechisch mit mir. "I can't understand you!", rief ich, doch selbst das ließ ihn nicht verstummen. Du meine Güte... Stattdessen zeigte er auf sich und sagte "Alexis". Natürlich, wie sollte er auch sonst heißen. Dann zeigte er auf seinen Ringfinger. Anscheinend wollte er wissen, ob ich verheiratet bin, aber jetzt stellte ich mich erst recht dumm. Er redete weiter auf mich ein, sodass ich aufstand und andeutete, dass ich weiter müsste. Wie unangenehm. Ich eilte in den benachbarten Zappeion Garten über, in dem sich ein beeindruckendes neoklassizistisches Gebäude befindet.


Wenn man die Straßenseite wechselt, kommt man zum Tempel des Zeus, von dem noch einige Säulen erhalten sind. Mit der näheren Betrachtung wartete ich aber noch, bis ich den Akropolis-Pass hatte, weil der Eintritt zum Tempel dann inklusive ist. Stattdessen setzte ich mich unter einen Baum und schaute den Hadriansbogen an, ein weiteres antikes Relikt:


Hinter dem Bogen beginnt der Bereich der Akropolis. Die Besichtigung hatte ich mir für den nächsten Tag aufgehoben, stattdessen bog ich auf eine der kleinen Nebengassen ab, die den Hügel hinaufführte. Zu meiner Überraschung waren dort nur sehr wenige Leute unterwegs. Die Häuser waren sehr baufällig, aber hatten häufig Graffiti an ihren Wänden, was mir ganz gut gefiel. Außerdem befand sich dort ein kleiner Platz mit Bänken, der von Bäumen umgeben und daher recht geschützt war. Dort machte ich erneut eine kleine Pause und studierte den Plan der Athener Innenstadt, der netterweise überall zum Mitnehmen bereit liegt. Auf der Rückseite war übrigens die Speisekarte eines Restaurants aufgedruckt, das seine Gerichte ironisch "Crisis Menus" nannte.



Was danach kam, haute mich jedoch erst recht um. Am Ende der Straße begann ein kleines Viertel mit verwinkelten Gassen, in denen sich kleine, weiße Häuser und sehr viele Blumen befanden. Das war so, wie man sich Griechenland vorstellt. Ich war völlig verdutzt, dass ich praktisch alleine dort herumstreifte, da es für mich der schönste Teil von ganz Athen ist. Ein paar Touristen müssen sich allerdings dorthin verirren, denn es waren immer mal wieder Schilder aufgestellt, die den Weg zur Akropolis anzeigten.



Tatsächlich kam ich am Ende des Labyrinths in der Nähe des Haupteingang zur Akropolis aus. Als ich mich umschaute, fiel mein Blick auf eine Karte. Ich dachte, es wäre eine Art Wegweiser, doch anscheinend wurde dort ein Bauprojekt erläutert. Jedenfalls hatte ich sie für vielleicht zwei Sekunden angesehen, als jemand zu mir sagte "Don't tell me you're trying to figure out this map!" Ich drehte mich und sah einen jungen Mann. "Oh, no...", meinte ich überrascht, woraufhin er begann, mir eine ganze Reihe Fragen zu stellen, wo ich herkommen, was ich in Griechenland so vorhabe, etc. etc. Er hätte schon vermutet, dass es mein erster Tag in Athen sei, so etwas würde man den Leuten ansehen. Außerdem wollte er wissen, ob ich mir jetzt die Akropolis anschauen wollte. Ich erwiderte, dass ich mir das für den nächsten Tag vorgenommen hatte, was ihn irgendwie zu überraschen schien. Zum Schluss gab er mir noch den Tipp, Filipapou Hill zu besuchen, da man von dort gute Fotos von der Akropolis machen könnte. Ich verabschiedete mich und klettere auf einen Felsen, von dem man einen hervorragenden Blick auf die Athener Betonwüste hat:


Zwischen Hadriansbogen und der Thissio-Metrostation befindet sich eine Promenade in deren Mitte der Eingang zur Akropolis ist. Ich ging nun den westlichen Teil hinunter, die Apostolou Pavlou, in der sich ein Café an das nächste reiht. Abgesehen davon, dass es brechend voll war, war es ein ganz hübscher Weg, was man von der Ermou, einer Seitenstraße, nicht behaupten kann. Dort befindet sich der Monastiraki-Flohmarkt. Auf dem Bürgersteig standen reihenweise Leute, in erster Linie Männer, die allen möglichen Krempel auf Tischen aufgebaut hatten und verkauften. Die Straße war wahnsinnig dreckig und es stank nach Urin, sodass ich heilfroh war, als ich endlich an der Metrostation ankam.

Eins muss man den Griechen lassen: der öffentliche Nahverkehr ist sehr günstig. Ein Wochenticket für die Metro kostet zum Beispiel 14 Euro, da kann man wirklich nichts gegen sagen. Angesichts der Temperaturen und der chaotischen Verkehrsverhältnisse beschloss ich also, mir so eins zu gönnen. Ich stand am Bahnsteig und wartete auf die nächste Bahn, als ich plötzlich jemanden sagen hörte: "What are you looking at?" Als ich mich umdrehte, sah einen alten Mann, der kaum noch einen Zahn im Mund hatte. "Nothing. Special.", meinte ich verdutzt, woraufhin er, Überraschung, Überraschung,  losbrabbelte und unzählige Fragen stellte, was ich in Griechenland will, womit ich zu Hause mein Geld verdiene, bla bla bla. Außerdem erzählte er, dass er Lehrer für Technik ist. Das darf doch nicht wahr sein! "Where are you going?", wollte er wissen. "Syntagma square." "What do you want to do there?" "Change trains and go back to my hostel?", erwiderte ich erschöpft. "Oh, I see. You're tired", meinte er, irgendwie enttäuscht. "YES." Ich glaube, nachdem man sechs Stunden in der Sommerhitze umhergewandert ist, darf man schon ein wenig müde sein. Glücklicherweise kam danach endlich die Bahn. Was ist nur los mit den griechischen Männern? Ich meine, ich bin im Urlaub ja schon öfter von komischen Typen angesprochen oder besser gesagt genervt worden, aber dreimal an einem Tag? Anscheinend haben sie überhaupt keine Hemmungen, sich anderen Leuten aufzudrängen.

Als ich zurück im Hostel war musste ich leider feststellen, dass sie weder die Betten gemacht noch den Mülleimer geleert hatte. Großartig. Da anscheinend aber auch niemand angekommen war, zog ich kurzerhand in das untere Bett. Es gab jedoch noch mehr Enttäuschungen. So hatte ich mich gefreut, dass es eine Steckdose am Bett gab, als ich allerdings mein Handy dort anschließen wollte bemerkte ich, dass sie halb aus der Wand hing und völlig nutzlos war. Anschließend wollte ich ins Internet. Das Hostel wirbt groß mit Free Wi-fi, jedoch ist das Signal selbst in unmittelbarer Nähe des Routers so schwach, dass mein Handy keine Verbindung aufbauen konnte. Große Klasse! Sie haben auch zwei Computer, an denen man kostenlos ins Internet kann, doch jedes Mal, wenn ich mich irgendwo einloggen wollte, kam ein Warnhinweis, dass es sich um eine unsichere Verbindung handelte. Völlig unmöglich, so auch nur seine E-Mails zu checken. Oh. Man.

Aber es geht noch weiter. Nach dem Abendessen, das aus zwei süßen Brötchen bestand, saß ich noch ein wenig in der Lobby und las (das Bett ist zu niedrig um dort aufrecht zu sitzen), als plötzlich der alte Rezeptionist auf mich zukam und den Schlüssel verlangte, da jemand anderes auf das Zimmer wollte. "Sorry?", fragte ich verwirrt. "You're supposed to leave the key at reception! There is only one key!" Da fiel mir erstmal die Kinnlade herunter. Ja, beim Einchecken hatte er irgendwas von Schlüssel abgeben gesagt, aber ich dachte, er meinte beim Auschecken. Wie kann es denn bitte sein, dass ein Hostel nur einen Schlüssel pro Zimmer hat? Wo war ich da nur gelandet?

Als ich zurück aufs Zimmer kam, traf ich auf eine Mutter und ihre Tochter. "Cómo te llamas?", fragten sie. "Pardon?" Ich verstand schon, was sie meinten, aber ich hielt es für besser gleich klar zu stellen, dass ich kein Spanisch spreche, abgesehen von "un café con leche, por favor", "su oportunidad de brillar", "mucho trabajo, poco dinero" und eben "cómo te llamas". Es stellte sich heraus, dass die beiden aus Mexiko stammen und durch Frankreich, Italien, Griechenland und die Türkei reisen. Zunächst war ich ganz froh, als sie mir mitteilten, dass sie um sieben Uhr morgens den Zug nach Irgendwo nehmen würde, da ich hoffte, dass sie dann ebenfalls früh ins Bett gehen würde, aber Pustekuchen. Als sie irgendwann das Licht ausschalteten, war es glaube ich zwei Uhr (obwohl ich deutlich gemacht hatte, dass ich gerne schlafen würde). Oh, du süßes Hostelleben.

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