Books I've Read: Sebastian Haffner- Geschichte eines Deutschen


Vielleicht erinnert ihr euch noch, dass ich vor etwa zwei Jahren Von Bismarck zu Hitler, Sebastian Haffners Abriss über die Geschichte des Deutschen Reiches von 1871 bis 1945, gelesen habe und sehr angetan war. Einzig, dass er verhältnismäßig wenig über die Zeit der Weimarer Republik geschrieben hat fand ich sehr schade, sodass ich mir seine Autobiographie Geschichte eines Deutschen: Die Erinnerungen 1914-1933 umgehend hinterher bestellt, sie aber erst jetzt gelesen habe (wie das oft so ist).

Geschichte eines Deutschen entstand 1939 im englischen Exil, erschien aber erst posthum nach Haffners Tod im Jahr 1999. Warum, weiß ich nicht. Allerdings hat man im Verlauf der Lektüre immer wieder den Eindruck, dass es Haffner geradezu unangenehm ist, über sich selbst zu schreiben. Oftmals entschuldigt er sich sogar dafür, wenn er sich kurzzeitig in den Mittelpunkt stellt - und das in seinen eigenen Memoiren! Er versucht eher, anhand seiner Geschichte exemplarisch darzustellen, wie sich der Prozess der Machtergreifung durch die Nazis für alljene gestaltet hat, die nicht dem braunen Terror verfallen sind - was im Übrigen gar nicht so wenige waren wie man vielleicht glauben könnte. Am Ende erschien Haffner dieser Ansatz wohl als nicht richtig und er schrieb stattdessen das handbuchartige Germany: Jekyll and Hyde.

Das Buch in seiner jetzigen Form (Haffner hat es wohl vorzeitig beendet) besteht fast zur Hälfte aus einem Prolog, der die Zeit bis 1933 behandelt. Der zweite Teil, "die Revolution", beschäftigt sich dann detailliert mit den Ereignissen in diesem Jahr. 1914 war Haffner (der eigentlich Raimund Pretzel hieß) sieben Jahre alt. Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebt der Junge während der Sommerfrische auf dem Land und er ist natürlich nicht erbaut darüber, dass seine Familie nun vorzeitig nach Berlin abreisen muss. Das - so Haffner - sei aber schon so ziemlich das Schlimmste gewesen, was er im Zusammenhang mit dem Krieg erlebt hat. Wie der Rest des Landes wird er schnell von einer regelrechten Kriegshysterie gepackt. Der Krieg ist für ihn wie eine sportliche Meisterschaft und er verfolgt die Nachrichten von der Front als wären es Ergebnistabellen.

Nach dem Krieg setzt die große Leere ein. Die Kämpfe allerdings, die sonst im fernen Frankreich stattgefunden haben, finden plötzlich vor der Haustür statt. Im Zuge der Revolution beschießen sich die verschiedenen Parteien gegenseitig und das Chaos bricht aus. Die Revolution hatte es freilich schwer und das nicht nur allein deswegen, weil sie im Gegensatz zum Krieg nicht an einem sonnigen Augusttag, sondern im grauen November begann (was Haffner zufolge das Bild der Menschen tatsächlich mitgeprägt hat): "[Die Revolution] hatte nicht wie der Krieg, sozusagen ein einfaches und einleuchtendes Dasein, in das man die Ereignisse einordnen konnte. Alle ihre Krisen, Streiks, Schießereien, Putsche, Demonstrationszüge blieben widerspruchsvoll und verwirrend." Mangels Identifikationsmöglichkeiten verfällt das Land ab 1924 ironischerweise für einige Jahre in eine Sporthysterie - Ergebnistabellen werden nun mit dem gleichen Enthusiasmus gelesen wie einst die Heeresberichte. Da es beim Sport allerdings kein übergroßes Ziel wie den "Endsieg" gibt, löst sich auch diese Hysterie in Luft auf.

Besonders interessant sind Haffner Bemerkungen zur Inflation: Für viele war dies natürlich eine harte Zeit. Selbst Haffners an sich recht wohlhabender Beamtenfamilie macht die Geldentwertung zu schaffen. Sobald der Vater am Monatsanfang sein Gehalt bekommt, wird dafür für die folgenden dreißig Tage eingekauft, da das Geld am nächsten Tag schon nichts mehr wert ist. Bei den Jüngeren führt die Inflation jedoch zu einer nie dagewesen Freizügigkeit - da es ja keinen Sinn macht, das Geld zu sparen, geben sie es Nacht für Nacht in den Clubs der Stadt aus. Gleichzeitig verlieren sie aber auch das Gefühl von Sicherheit: "Einer ganzen Generation ist damals ein seelisches Organ enfernt worden: ein Organ, das dem Menschen Standfestigkeit, Gleichgewicht, freilich auch auch Schwere gibt, und das sich je nachdem als Gewissen, Vernunft, Erfahrungsweisheit, Grundsatztreue, Moral oder Gottesfurcht äußert" - ein wichtiger Hinweis, der einen Anhaltspunkt darauf gibt, warum sich der Nationalsozialismus so ausbreiten konnte. 1923 war natürlich auch das Jahr, in dem Hitler erstmals von sich reden macht, auch wenn er noch als "Bierkellerputschist" verlacht wird.

Nach dem Ende der vergleichsweise friedlichen Stresemannepoche und dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise kehrt Hitler auf die politische Bühne zurück. Brüning, so Haffner, ebnet ihm dem Weg mit der Einschränkung der Grundrechte, eine "Semi-Diktatur". Und mit Hitler haben plötzlich all die eine Erlöserfigur gefunden, deren Sehnsucht nach deutscher Überlegenheit seit dem Krieg nicht gestillt wurde, und die zwischenzeitlich in den Freicorps Andersdenkende verprügelten. Es kommt das Jahr 1933: Haffner, damals in der Ausbildung zum Jurist, erlebt, wie sich weite Teile Deutschlands dem Nationalsozialismus gewissermaßen kampflos ergeben. Obwohl die Nazis bei den Reichstagswahlen nicht die Mehrheit der Stimmen haben, protestiert niemand, als bald darauf Juden boykottiert und aus öffentlichen Ämtern entfernt werden. 

Überall erklingt ständig Marschmusik - Sinnbild dafür, dass es kein Entrinnen gibt. Auch Haffner ist privat betroffen, obwohl er keiner Minderheit angehört und einigermaßen "sicher" ist. Freundschaften zerbrechen, weil die Leute mit den Nazis sympthisieren, oder Freunde verlassen das Land, weil sie jüdisch sind. Auch Haffner denkt bald an Auswanderung. Als Jurist kann er nicht mehr arbeiten, denn die Verfassung wird von denen ausgehöhlt, die sie eigentlich verteidigen sollten.

Ich könnte hier noch ewig weiterschreiben, weil Geschichte eines Deutschen einfach so viele interessante Punkte beinhaltet. Mir ist bisher noch kein Buch untergekommen, dass die Zeit vor und während der Machtergreifung so anschaulich beschreibt - und dass die Deutschen so anschaulich beschreibt. Es gibt so viele Theorien, die man hier diskutieren könnte. Es wird ja immer wieder die Frage gestellt, warum Deutschland sich mit Patriotismus so schwer tut (wobei sich mir immer die Frage stellt, ob Patriotismus wirklich so erstrebenswert ist). Haffner argumentiert, dass der Nationalismus, im Gegensatz zu anderen Völkern, den Deutschen die Menschlichkeit raubt und ihre hässlichsten Seiten hervorbringt. Angesichts der Dinge, die zwischen 1933 und 1945 passiert sind, kann man das wohl nicht abstreiten. Und wenn heute wieder Flüchtlingsheime brennen, dann zeigt das, dass es auch heute noch Deutsche gibt, die ihre Menschlichkeit dem Nationalismus geopfert haben.

Geschichte eines Deutschen zeigt auf, wie Hitler möglich wurde und dass der Nationalsozialismus kein Unglück war, dass überraschend über Deutschland hereingebrochen ist. Es zeigt, dass man schon sehr früh wissen konnte, dass der kleine Mann eine große Gefahr darstellte. Das Buch ist aber so viel mehr als ein Zeitdokument: Es vermittelt einen tiefen Einblick in die Seele einer Nation. Vieles davon ist noch heute relevant. Geschichte eines Deutschen ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur deutschen Geschichte, es ist ein zeitloses Werk, das jeder lesen sollte.

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