TV Night: The Wire



Tut mir leid, dass ich in den letzten Wochen so inaktiv war, aber aus mir selbst nicht ganz erfindlichen Gründen hatte ich nicht viel Zeit, um über die schönen Dinge des Lebens zu schreiben. Dass ich kaum zum Lesen oder Filme schauen gekommen bin, lag in erster Linie daran, dass ich total von einer Fernsehserie namens The Wire besessen war und meine (wenigen) freien Abende damit verbracht habe, mich durch alle fünf Staffeln zu schauen. Von The Wire habe ich erst durch Breaking Bad erfahren, denn anscheinend gibt es immer wieder Leute, die sich darüber streiten, welche von beiden nun die beste Serie aller Zeiten ist. Als die Sendung noch im Fernsehen lief (2002-2008) ist sie völlig an mir vorbeigegangen, aber allein die Tatsache, dass Dominic West dort die Hauptrolle spielt hat genügt, um mein Interesse zu wecken.

The Wire ist definitiv anders als alle anderen Sendungen, die ich bisher gesehen habe. Auch wenn es hier in erster Linie um Kriminalität geht, ist The Wire weniger eine Krimiserie als ein Sittengemälde von Baltimore, Maryland, das versucht, das Leben in der Stadt möglichst getreu abzubilden. In jeder Staffel führt die Serie den Zuschauer in einen anderen Bereich ein: Erst ist es der Drogenhandel, dann der Hafen, dann die Politik, die Schulen und schließlich die Printmedien, wobei die Drogen immer der Schwerpunkt bleiben - wie das Zentrum eines Spinnennetzes, zu dem alle Fäden hinlaufen. Das führt dazu, dass The Wire wahrscheinlich eins der größten Casts der Fernsehgeschichte hat mit etwa 40 Darstellern, die mal mehr, mal weniger häufig in Erscheinung treten.

Alles beginnt mit Jimmy McNulty (Dominic West), einem genialen Cop, dessen Schwierigkeiten sich unterzuordnen jedoch immer wieder seiner Karriere im Weg stehen. Er macht Richter Phelan (Peter Gerety) auf Avon Barksdale (Woody Harris) und dessen rechte Hand Stringer Bell (Idris Elba) aufmerksam, die praktisch unbehelligt West Baltimore mit Drogen versorgen. Phelan ordnet eine Untersuchung an, zum Leidwesen der Polizeidirektion, die eher nach dem Motto "Was ich nicht weiß, was mich nicht heiß" lebt. Sie richtet eine spärlich ausgestattete Sonderkommission ein, die den Richter besänftigen, aber nicht wirklich Verbrechen aufklären soll. Die Polizisten halten jedoch gar nichts von Scheinfestnahmen und erwirken bald eine Abhöraktion, um Barksdale und seiner Organisation auf die Schliche zu kommen.

Die große Stärke von The Wire ist ihr Realismus. Die beiden Hauptautoren David Simon und Ed Burns waren selbst bei der Polizei, in der Schule und bei der Baltimore Sun tätig und kennen ihre Handlungsorte genau. Dieser Realismus führt dazu, dass The Wire mit so ziemlich allen Krimikonventionen bricht. So erstreckt sich ein Fall über mindestens eine Staffel; Action ist Mangelware. Oft genug schaut man den Ermittlern einfach nur zu, wie sie andere beobachten. Zur Kernhandlung gesellen sich diverse Nebenstränge, die nur bedingt etwas mit dem Hauptfall zu tun haben, und auch das Privatleben der Protagonisten wird nicht ausgespart, im Gegenteil.

Zudem gibt es kein Gut oder Böse: Polizisten, die Verbrechen ignorieren um mit geschönten Statistiken ihre Karriere zu befördern, sind ebenso vertreten wie Drogendealer mit Gewissen, die durch ihre Herkunft in das Milieu gerutscht sind. Auch wer erwartet, dass die Verbrecher am Ende ihre gerechte Strafe bekommen, wird bitter enttäuscht werden. Es ist geradezu das Prinzip von The Wire, dass fast niemand das bekommt, was er verdient - wie das im Leben eben so ist. Im Grunde handelt es sich hier um eine sehr pessimistische Sendung: Kriminalstatistiken werden geschönt, Schulstatistiken werden geschönt und Lügner werden belohnt, während sich die Spirale aus Armut und Verbrechen munter weiter dreht. Niemand, der die Macht hat, ist wirklich gewillt, etwas zu ändern, und wer etwas ändern will, bekommt keine Möglichkeit dazu. Alles muss nur gut aussehen.

Dass The Wire so authentisch wirkt, liegt auch am Ensemble, das zum Großteil afroamerikanisch ist - ganz so wie die reale Bevölkerung von Baltimore. Simon und Burns setzten auf (damals) eher unbekannte Schauspieler, die häufig selbst aus der Stadt an der Chesapeake Bay stammen. Darunter sind auch viele Laiendarsteller, die selbst drogensüchtig waren. Nicht nur legen die Schauspieler eine hervorragende Leistung ab, viele der Charaktere sind auch unvergesslich, wie der drogensüchtige Polizei-Informant Bubbles (Andre Royo), Drogen-Kingpin Proposition Joe (Robert F. Chew), Möchtegern-Ganove Ziggy Sobotka (James Ransone) und vor allem Omar Little (Michael K. Williams), der Drogendealer ausraubt.

Ich weiß nicht, ob nun Breaking Bad oder The Wire besser ist. Meiner Ansicht nach sind sie beide erstklassig. Sie miteinander zu vergleichen, finde ich jedoch müßig, denn auch wenn sie sich thematisch ähneln, setzen sie ihren Stoff völlig unterschiedlich um. Wenn ich mich allerdings entscheiden müsste, welche Serie ich lieber mag, dann würde ich The Wire nehmen, wegen der sympathischeren Figuren und weil ich, als ich sie durch hatte, am liebsten wieder von vorne angefangen wäre.

Fazit: Von der ersten bis zur letzten Minute absolut perfekt.

Kommentare